Das sagte zumindest meine Frau, viele Verwandte und auch einige meiner Lauffreunde. Viele andere haben es sicher gedacht, aber sich nicht getraut was zu sagen. Meine Tochter Dela hat mir das zugetraut und hat mich deshalb auch als Unterstützerin und Zuschauerin nach Thüringen begleitet.
Wie kommt man auf die Idee mit 71 den Rennsteiglauf anzugehen?
Das – und was alles dazu gehört – möchte ich Euch im folgenden erzählen.
Der Rennsteiglauf ist einer der bekanntesten und landschaftlich schönsten Ultratrails Europas. Gestartet wird in Eisenach unterhalb der Wartburg und dann geht es 73,9 km über Stock und Stein durch den Thüringer Wald.

Eigentlich wollte ich den Rennsteiglauf schon vor vielen Jahren mal machen, aber irgendwas ist dann immer dazwischen gekommen. Erst waren es berufliche Verpflichtungen mit vielen Auslandsaufent-halten. Dann kam 2014 mein Unfall bei der NLL-Vorbereitung dazu, nach dem der behandelnde Arzt mir auf meine Frage, ob ich je wieder einen Marathon absolvieren kann, lapidar geantwortet hat, dass ich froh sein soll, wenn ich wieder normal gehen lerne.
Aber ich bin niemand, der so einfach aufgibt. Mit viel Unterstützung, erst durch die exzellenten Physiotherapeuten der BG, dann durch die Hirschauer Laufgruppe um Winfried Laube, die mich – am Anfang als ständiger Nachzügler – mitgeschleppt und integriert hat, bin ich 2017/2018 in München, Frankfurt und Berlin wieder Marathon gelaufen. Nachdem ich mich aber in Berlin die letzten Kilometer ziemlich quälen musste, hatte ich eigentlich entschieden, dass es das war mit Marathon in diesem Leben. Im ersten Coronajahr bin ich sogar fast ganz ausgestiegen aus dem Laufen und hatte mich schon mit mehr als 90kg und einem deutlich sichtbaren Bauchansatz abgefunden.
Auch wenn da noch keinerlei Gedanke an den Rennsteig war, die erste Trainingseinheit war schon 2020 und bestand aus drei Wochen Fasten und 10 kg Abspecken und damit kam die Freude am Laufen zurück. Neben dem sonntäglichen Langstreckentraining in Hirschau hab ich dann auch mit regelmäßigem Bahntraining bei Gerold und Mischa angefangen. Auch wenn ich da mit meinem „lahmen“ 4:30iger Tempo auf 400 Meter eher der Außenseiter bin, macht mir das Spaß und gehört inzwischen zum festen Wochenprogramm. Und natürlich freue ich mich jedes Jahr auf den Nikolauslauf, insbesondere da man ja jetzt gleich zweimal laufen kann – in der ersten Woche 10km virtuell und dann unsere „Einzigartigen 21“.
Bei einem der Sonntagsläufe in Hirschau kam dann letztes Jahr das erste Mal das Thema Rennsteig auf. Ines Sommer, mit der ich oft gelaufen bin, hat mir von ihrem 50km Alb-Marathon in Schwäbisch Gmünd vorgeschwärmt und erzählt, dass man für solche langen Läufe „schnelles Gehen“ trainieren müsse. Irgendwann stand dann im Raum, dass ja 2023 der 50igste Rennsteiglauf stattfindet. Wann ich mich schließlich entschieden habe, beim Rennsteiglauf mitzumachen, weiß ich gar nicht mehr so genau. Beim VfL Dettenhausen ist der Rennsteiglauf eine jährlich gepflegte Tradition mit oft mehr als 25 Teilnehmern, alles bestens organisiert von Andreas Koch. Über Ines kam die Info, dass bei Andreas nur noch zwei der vorreservierten Zimmer verfügbar sind und man sich schnell entscheiden müsse. Damit war es dann passiert. Am 9. Januar hat mich Andi in seine Rennsteig WhatsApp-Gruppe aufgenommen
Kommen wir zurück zum Thema „VERRÜCKT“. Das wäre es m.E. gewesen, wenn ich mir mit meinen 71 Jährchen irgendeine Zeit vorgenommen hätte. Für mich war von vorneherein klar, dass es nur ums Ankommen geht und da ist einzig der Zielschluss um 18 Uhr zu beachten. Also in 12 Stunden – Start ist um 6 Uhr in der Früh – sollte man die 73,9 km längstens geschafft haben. Hört sich machbar an, aber bei über 1800 Metern hoch und fast 1400 Metern runter sowie vielen Wegen, die mit Wurzeln und Steinen übersäht sind, ist das schon eine Herausforderung.

Erfahrene Rennsteigläufer meinten, dass man 2-3 Marathonläufe ins Training integrieren soll. Da gibt es im Frühjahr in der näheren Um-gebung gar nicht so viele Möglichkeiten. Also waren schnell der Bienwald-Marathon in Kandel (12. März), der Freiburg-Marathon (26. März) und die Schönbuch Trophy T42 (23. April) ausgewählt. Für den Marathon sind natürlich schon vorab ausreichend lange Trainings-einheiten einzuplanen.
Zum Aufwärmen waren die ALB-GOLD-Winter-läufe gerade recht. Den ersten 30iger bin ich zusammen mit Ines Sommer dann schon am 21. Januar gelaufen. Inzwischen würde ich sagen, fast ein wenig zu früh.
Vor dem Bienwald-Marathon waren es dann bei mir schon 4 lange Läufe, der längste davon immerhin mit 40km. Die beiden Marathons waren bewusst nicht an der Kante, sondern mit ca. 5 Stunden als lange, motivierende Trainingsläufe angelegt.
Einige Trainingsläufe hab ich auch zusammen mit der Langstrecken-Trainingsgruppe aus Dettenhausen absolviert.

Tja und dann sah es plötzlich von einem Tag auf den anderen so aus, als könne ich den Rennsteig-lauf abhaken. Am Karfreitag (7. April, 5 Wochen vor dem Rennsteiglauf) war ich mit dem Lauftreff Hirschau unterwegs und eigentlich richtig gut drauf. Ich habe vor dem Pilgerweg hoch zur Rottenburger Altstadtkapelle sogar Walter Johnen, der schon ein gutes Stück voraus war, wieder eingeholt. Vielleicht hätte ich – zusammen mit den vielen Osterpilgern die da unterwegs waren – an jeder der Stationen des Pilgerwegs kurz anhalten sollen, was ich aber nicht getan habe. Kurz vor der Kapelle gibt es ein paar Stufen, die ich im Zwei- oder Dreistufenmode genommen habe und dann war es passiert. Stechender Schmerz im linken Po und bei jedem zweiten Schritt keine Kraft mehr im linken Bein. Irgendwie hab ich mich noch ein paar Kilometer weiter geschleppt. Die anderen sind einen längeren Weg gelaufen und haben mich kurz vor Kiebingen wieder eingeholt. Walter hat mich dann netterweise mit dem Auto nach Hirschau zurück gefahren. Dort konnte ich kaum noch auftreten und war richtig froh, dass Winne‘s Frau Inge an dem Tag eine Osterverpflegung für die Läufer vorbereitet hatte.
Zu Hause angekommen war die erste schwere Aufgabe aus dem Auto raus und über die Straße zu gehen. Wie ich hoch in meine Wohnung kam, weiß ich gar nicht mehr so genau. Es war ziemlich schnell klar, dass ich mir eine Piriformis/Ischias-Zerrung zugezogen hatte. Der eigentlich für Ostermontag geplante 50km Trainingslauf musste ausfallen und es war erstmal Pause angesagt. Nach einer Woche Maximaltherapie konnte ich zwar wieder laufen, aber das Problem hat mich bis zum Rennsteiglauf weiter begleitet. Aber als erfahrener Läufer weiß man, wie man mit sowas umgeht oder besser gesagt wie man es integriert. Soviel Dehnungs- und Ausgleichsgymnastik wie in diesen Wochen, angefangen morgens im Bett bis abends vor dem Fernseher, hab ich selbst nach meinem Unfall nicht gemacht. Das ganze noch zuzüglich Massage, Schwimmen und gezieltem Krafttraining.

Also am sonntagfrüh, 23. April, kurz nach 7 Uhr los. Erstmal vom Berliner Ring, wo ich wohne, hoch zum Heuberger Tor und im großen Bogen runter nach Bebenhausen ins Goldersbachtal. Von dort hoch nach Pfrondorf und runter ins Neckartal. Dann hinter dem Hornbach hoch nach Wankheim und über das Ehrenbachtal runter ins Steinlachtal. Etwas ätzend war die Strecke entlang der Straße hoch nach Kressbach, dafür kommen danach die wunderschönen Wege durch den Rammert, die ich von meinen vielen Sonntagsläufen ausgehend von Hirschau bestens kenne. Nach der zweiten Neckarüberquerung war dann der Spitzberg dran und irgendwo dort war auch die Marathondistanz erreicht. An Schwärzloch bin ich nicht vorbeigekommen ohne eine 10min Pause einzulegen und 0,1l Weißwein zur Stärkung zu trinken. Frisch motiviert ging‘s dann vollends runter ins Ammertal und entlang der Straße nach Hageloch und über den Heuberger-Tor-Weg wieder zurück nach Hause. Insgesamt eine wunderschöne Strecke von 51,5 km mit fast 1000 Höhenmetern. Vielleicht sollten wir ja mal einen „Ultralauf-Tübingen“ organisieren.
Die letzten drei Wochen vor dem Event bin ich dann von meinem ursprünglichen Trainingsplan abgewichen und hab nicht nochmal einen 30iger gemacht und die Woche vor dem Rennsteiglauf war totale Laufpause angesagt. Am Tag vor dem Lauf kann man immer noch nicht so richtig realisieren, dass es jetzt endlich soweit ist.



Meine Startnummer musste ich in Eisenach abholen. Das hätte man auch noch am Morgen vor dem Lauf machen können, aber die Vorstellung morgens um 5 Uhr vor dem Lauf in einer Schlange anzustehen, um die Startnummer zu bekommen, war für mich keine Option. Außerdem fand ich es gut schon mal gesehen zu haben, wo der Lauf am nächsten Tag startet.
Aus unserer Gruppe sind letztlich nur Ines Sommer, Christine Bauer und ich den Ultra gelaufen. Viele der ursprünglichen Probanden sind verletzungsbedingt ganz ausgestiegen oder haben sich – um ein wenig Rennsteigatmosphäre genießen zu können – für den Halbmarathon entschieden.



Die gelben Taschen sind Rennsteigtradition. Da tut man alles rein, was man nicht beim Laufen mitschleppen will und/oder am Ziel zur Verfügung haben will.
Wir drei Ultras haben uns dann am Start wieder getroffen und das beim Frühstück vergessene Gruppenfoto nachgeholt. Das ist aber leider unscharf geworden.


Ob ich den Startschuss gehört habe, weiß ich gar nicht mehr. Irgendwann setzt sich das Feld in Bewegung und man läuft – zumindest im hinteren Bereich, in dem wir gestartet sind – relativ gemütlich durch Eisenach. Irgendwo gab‘s dann sogar mal einen Stau mit Schritttempo, aber das nervt bei der Streckelänge niemanden, zumal man die Steigungen eh nicht rennt, sondern – je nach Schwierigkeitsgrad – so im 10er bis 12er Tempo zügig geht.

Das erste Ziel ist der große Inselberg. Dort hat man den ersten großen Anstieg von ca. 220 Höhenmetern in Eisenach auf ca. 910 Höhenmeter hinter sich. Ich weiß nicht warum, aber als ich da oben war hatte ich den Eindruck, dass ich mehr abwärts, als aufwärts gelaufen bin. Ist ein echt seltsames Phänomen, das einem sein Läuferhirn da vorgaukelt und liegt vermutlich daran, dass man das zügige Gehen an den steilen Anstiegen psychologisch ausblendet und sich im Gedächtnis vorwiegend die Strecken aufsummieren auf denen man rennen kann.


Wenn man da oben ist denkt man erst mal, dass man den schwierigsten Teil des Laufs ja jetzt hinter sich hat. Weit gefehlt! Jetzt kommt Welle auf Welle hoch und runter durch den Thüringer Wald und an vielen Stellen ist unübersehbar, dass man auf einem „Trailrun“ unterwegs ist.


Ablenkung hat man durch die vielen netten Mitläufer:innen, mit denen man leicht ins Gespräch kommt und durch die wunderschöne Landschaft.

Und dann sind da ca. alle 7 km die von den Thüringer Sportvereinen aus der Umgebung aufgebauten, sehr gut organisierten Verpflegungsstände. An denen gibt es viel mehr, als man auch nur probieren kann, zumindest wenn man ohne Gewichtszunahme im Ziel ankommen will. Ob es nun unbedingt eine Wurst sein muss, sei dahingestellt, aber auch die sind gut weggegangen. Bei Schmalzbrot mit Salz und Schnittlauch hab aber auch ich an zwei Stationen nicht „Nein“ gesagt.


Das nächste wichtige Zwischenziel ist die Verpflegungsstation Grenzadler bei Kilometer 54. Das ist noch einen Halbmarathon von Schmiedefeld entfernt und dort gibt es das offizielle Angebot den Lauf abzubrechen und trotzdem in der Ergebnisliste aufzutauchen. Nur ein Finisher-T-Shirt gibt’s dafür natürlich nicht.

Nachdem das Wetter den ganzen Vormittag über heiter bis wolkig war und immer mal wieder die Sonne rauskam, wurde es auf dem Weg nach oben immer wolkiger und auch immer kühler. Neben mir hat ein Mann seine Jacke aus dem Rucksack geholt und ich hab ihn gefragt,
Eigentlich hatte ich mich die ganze Zeit darauf gefreut, dass es die letzten 12 Kilometer fast nur noch abwärts geht und hatte mir vorgestellt, wie ich den Berg runter sprinte. Aber da ging nichts mehr – keine Kraft mehr in den Beinen. Das war wahrscheinlich auch gut so, denn die Strecke war an vielen Stellen so wurzelig und steinig, dass das Sturzrisiko ziemlich groß war. Das liegt auch daran, dass die Konzentration nachlässt und mit „Tunnelblick“ kann man sich nicht mehr so richtig auf die Beine konzentrieren oder zumindest nicht auf beide Beine gleichzeitig.

Wie der Körper das schafft, weiß ich nicht so richtig, aber je näher das Ziel kam, desto besser/schneller konnte ich wieder laufen und im Umfeld von Schmiedefeld waren auch die Wege wieder besser.
Der Endspurt ins Ziel – naja, war gerade mal 6er Tempo – war obligatorisch. Aber von dem für den 50igsten Rennsteiglauf neu gestalteten roten Zielbogen in Form eines riesigen, roten „R“ hab ich bewusst nichts mitbekommen. Das ist in meiner Erinnerung nur ein großes rotes Loch, durch das man durch muss („Tunnelblick!“).

Und zugegeben, die beiden Mädels sehen mit ihren 9h:20 ein wenig frischer aus …

Die 700 zusätzlichen Meter kommen vermutlich dadurch zustande, dass die Verpflegungsstationen zum Teil außerhalb der Strecke sind und man bei den vielen Angeboten zwangsläufig immer mal ein wenig hin- und herläuft bis man sich entschieden hat, was man isst oder trinkt.
Direkt am Ziel gab es leider nur Getränke. Jetzt hätte ich gerne ein wenig Obst oder einen süßen Riegel gehabt. Das fand ich schade und verbesserungswürdig und ist einer der wenigen Kritikpunkte, die ich habe. Ist aber wohl bei der jetzigen Art der Organisation eine Platzfrage, da man dafür sorgen muss, dass die Finisher sich schnell verteilen. Meine Tochter hat mir erzählt, dass es zwischendurch tatsächlich einen Zielstau gab, da ja parallel auch noch ein Halbmarathon und ein Marathon stattgefunden hat. Die letzten Halbmarathonis und viele der Ultras und Marathonis kamen wohl gleichzeitig im Ziel an. Dass man zur Abholung der gelben Säcke mit den warmen Klamotten einen halben Kilometer laufen muss und es zwar ausreichend Duschen gibt, die aber mehr tröpfeln als laufen, war auch nicht so schön.

Ich hab gelernt, dass es Tradition und Pflicht ist, auf die Bänke zu stehen und mitzutanzen/-schunkeln und erstaunlicher Weise geht das auch ohne Probleme und macht richtig Spaß.
Wirklich beschweren tun sich die Muskeln erst am nächsten Morgen. Ich hatte in der Gruppe rumgefragt, ob jemand am nächsten Morgen vor dem Frühstück – das war auf 9 Uhr angesetzt – Lust hat einen kleinen Lockerungslauf zu machen und alle haben freundlich abgewunken. Ich weiß inzwischen warum. Ich bin mit meiner Tochter Dela dann tatsächlich 3km gelaufen, aber ob man das mit einer Pace von 10:50 als Laufen bezeichnen kann, sei dahin gestellt.

Dela und ich sind noch einen Tag geblieben und haben in der Nähe von Eisenach ein Wildkatzendorf und dann die Wartburg besucht. Am nächsten Morgen waren die Beine schon wieder relativ gut und der Lockerungslauf hat sich wieder nach Laufen angefühlt. Am Dienstag war ich schon wieder auf der Bahn und hab – wie immer nach langen Läufen – ein paar schnelle 200 Meter Einheiten gemacht, damit sich die Beine nicht zu sehr an langsam und lang gewöhnen. Insgesamt war der Rennsteiglauf ein tolles Erlebnis und man fragt sich natürlich, ob man das nochmal machen möchte. Ich sag mal „JA“, das könnte ich mir vorstellen – vielleicht mit 70 plus 5?
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